Stellungnahme der SPD-Fraktion im Gemeinderat zur Einrichtung zweier Werkrealschulen

Veröffentlicht am 19.11.2009 in Fraktion
 

In ihrer Stellungnahme vor dem Gemeinderat kritisiert Stadträtin Anja Krug die aktuelle Landespolitik und ihr de facto Festhalten an der Werkrealschule. Dadurch werde das dreigliedrige Schulsystem festgeschrieben und die Chance einer echten Reform, die ein gemeinsames Lernen mindestens bis zur sechsten Klasse ermöglicht, vertan.

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Frau Groß, sehr geehrter Herr Philipp, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

die SPD-Fraktion hat sich mit der Vorlage, die den Weg für die Einrichtung von Werkrealschulen an der Konrad-Adenauer-Schule und an der Stirumschule ebnet, intensiv beschäftigt. Wir erkennen den Sachzwang an, der für die Verwaltung zur Erarbeitung dieser Vorlage geführt hat. Auch sprechen wir einen Dank für die gründliche und transparente Arbeit der Verwaltung in dieser Sachfrage aus. Wir akzeptieren, dass es für Bruchsal angesichts des Stichtags für die Anmeldefrist für die Werkrealschulen neuen Typs notwendig ist, tätig zu werden.

Was wir allerdings nicht akzeptieren können, ist die Entscheidung der Landesregierung und der Mehrheit des Landtages zugunsten der Einführung der Werkrealschule neuen Typs. Dieses Schulmodell, das sehr plötzlich in der politischen Diskussion auftauchte, hat für die Schullandschaft in Baden-Württemberg weitreichende Konsequenzen.

Aller guten und empirisch erwiesenen Erkenntnisse wie der PISA-Studie zum Trotz beharrt Baden-Württemberg auf einem dreigliedrigen Schulsystem. Anstatt Kindern durch längeres gemeinsames Lernen bis mindestens zur sechsten Klasse, das in vielen europäischen Staaten wie z. B. Finnland, Schweden und den Niederlanden zu nachhaltigem Lernen und sozialem Miteinander führt, werden die Schüler hier sehr früh in Kategorien eingeteilt. Schaut man sich die Übergangszahlen der Schülerinnen und Schüler am Ende der Grundschulzeit an, erkennt man schnell, dass die Hauptschule zu einer Art „Restschule“ degradiert wurde. Ein Abschlusszeugnis der Hauptschule bietet den Schülerinnen und Schülern nur wenige Zukunftsperspektiven – unabhängig von der großartigen Arbeit, die dort von vielen Lehrerinnen und Lehrern unter schwierigen Bedingungen geleistet wird. Die meisten Eltern versuchen mit allen Mitteln – wenn es sein muss bereits mit Nachhilfeunterricht in der Grundschule – für ihr Kind mindestens eine Realschulempfehlung zu erreichen, um ihm bessere Chancen zu eröffnen.

Was passiert mit den Kindern, die aber genau diese Empfehlung nicht erhalten und die Hauptschule besuchen müssen? Sie haben von vorne herein schwierige Bedingungen. Häufig sind es Kinder, die aus schwierigen sozialen Verhältnissen stammen, Migranten sind oder einfach „Spätentwickler“, die etwas länger brauchen. Es findet durch die Hauptschulempfehlung also auch eine soziale Selektion statt. Das Prädikat „Hauptschule“ wiegt schwer, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Anstatt jetzt als Landesregierung im Sinne dieser Kinder, die ohnehin schwierige Bedingungen haben zu agieren und die Hauptschule zugunsten intelligenter Schulmodelle abzuschaffen, kommt in Baden-Württemberg das Konzept der „Werkrealschule“ aus der Schublade.

Welche Konsequenzen hat die Einführung dieser Werksrealschule? Unter diesem Namen firmiert de facto alter Wein in neuen Schläuchen. Die diesbezügliche Bewertung findet sich bereits in der Bibel.

Der Zwang der Landesregierung wonach Werkrealschulen i. d. R. zweizügig zu führen sind, bedeutet, dass kleinere Schulen in den Dörfern keine Chancen haben, sich zur Werkrealschule zu entwickeln. Damit stehen erfolgreiche und innovative Hauptschulen wie die Burgschule in Obergrombach, die bereits für ihr KOPF-Projekt ausgezeichnet wurden, vor dem Aus. Schulen, wie die Dietrich-Bonhoeffer-Schule, die z. B. vor Ort unendlich wertvolle Integrationsarbeit für Aussiedlerkinder übernommen haben, dörren langfristig aus.

Die Neuerung, dass den Schülern nun der Besuch von Werkreal- oder Hauptschule empfohlen wird, wird dazu führen, dass sich die meisten Schülerinnen und Schüler sowie ihre Eltern für den Besuch der vermeintlich höheren Schulform „Werkrealschule neuen Typs“ entscheiden werden. Die Abstimmung über die Bildungspolitik des Landes B-W wird mit den Füßen stattfinden.

Der SPD-Fraktion drängt sich der Eindruck auf, als wollte man mit der Einführung der Werkrealschulen dafür sorgen, dass kleinere Schulen von der Landkarte verschwinden. Dabei scheint die Landesregierung anscheinend Schulen nur als Lehranstalten betrachtet zu haben. Wir alle aber wissen, dass Schulen mehr sind als Anstalten zur Wissensvermittlung. Schulen sind Identifikationspunkte eines Ortes und für die Schülerinnen und Schüler nicht nur ein Lern-, sondern auch ein Lebensort. Die zweizügige Werkrealschule, wie sie die Landesregierung fordert, untergräbt genau dieses.

Die Reform zugunsten der neuen Werkrealschule erscheint wie ein verzweifeltes Festhalten an einem dreigliedrigen Schulsystem. Schade nur, dass dieser Hang zur Tradition ausgerechnet auf dem Rücken von Kindern ausgetragen wird, die sich nicht wehren können, weil sie – wie bereits erwähnt – oft schon von Anfang an schwierige Startbedingungen haben.

Schon ein Blick über den Rhein nach Rheinland-Pfalz beweist, dass gute Schulpolitik anders funktionieren kann. Die dort eingeführte „Realschule Plus“ ist ein Erfolgsmodell, das versucht, alle Kinder mit ins Boot zu holen und individuell zu fördern. Auch hier zeigen sich schon die ersten Abstimmungen mit den Füßen: über 80 Eltern aus dem Raum KA haben ihre Kinder bereits auf pfälzischen „Realschulen Plus“ angemeldet.

Die Bildungspolitik der Landesregierung stimmt mich nachdenklich, ob es nicht schon in Bruchsal Eltern gibt, die auf die Fertigstellung der Stadtbahntrasse nach Germersheim hoffen, um ihren Kindern, die keine Empfehlung für Realschule oder Gymnasium erhalten, eine zukunftsfähige Schulausbildung zu ermöglichen.

Die SPD-Fraktion stimmt aus dem Sachzwang heraus der Vorlage zu. Das Konzept der Werkrealschule als Ausdruck einer aus unserer Sicht nicht zielführenden Bildungspolitik, die soziale Auslese fördert, zehnjährige Kinder in starre Kategorien einteilt und langfristig zum Ende gut funktionierender Schulen im ländlichen Raum führt, können wir jedoch nicht mittragen. Vielen Dank.

 

Homepage SPD Gemeinderatsfraktion / SPD Stadtverband Bruchsal

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